Vorweg sind gleich die Fotos von Ulrike Köb und Ludwig Lockinger hervorzuheben, die mit künstlerischer Leistung wesentlich zur Anschaulichkeit, Prägnanz und zum Erkenntniswert des Buches beitragen. Die Autoren, von ihrer Ausbildung her Architekten und Designer, wollen über das Design des Essens kritisch informieren und auch zur Auseinandersetzung Material liefern: was wir da manchmal wirklich so essen und ob das Leib und Sinne befriedigt. Welche Geschichte(n) erzählt unsere Nahrung, was sagen die alltäglichen Mahlzeiten über unsere Kultur aus?
Köche und alle Speisende zählen ohnehin schon zu einer Art von „Designern", denn die Lebensmittel werden bearbeitet, um sie zu transportieren und zu konservieren, schmackhaft und (durch Zerteilen) genießbar zu machen. Durch die Bearbeitungsprozesse transformieren wir somit unsere Nahrung. Die Menschen setzten bei all dem Fantasie, Kreativität und Erfindungsgeist ein. Das Food Design muss aber jetzt besonders noch den Erfordernissen der Massenproduktion genügen, entsprechend werden die Produkte gestaltet. Die technischen Bedingungen können einer anderen Anforderung zuwiderlaufen - den Genuss zu steigern. In wie kaum einer anderen Epoche zuvor wird das Design vieler Lebensmittel von den Anforderungen industrieller Herstellung, optimalen Transports, von Lagerfähigkeit und Optik bestimmt. Gerichte und Speisen bilden „immer eine Einheit aus Genuss, Funktion und Kultur". Hier soll gezeigt werden, wie die Mechanismen bei Food Design funktionieren. Die Definition meint „jegliche Gestaltung von Nahrung nach den Regeln der Reproduzierbarkeit", um „sinnliche, funktionale und kulturelle Anforderungen" zu erfüllen.
Das Buch ist entsprechend in die drei Hauptmotive gegliedert: Sinnlicher Genuss, Funktionen, Kultur. Gerade die Steigerung des Lustgewinns beim Essen ist eine der wesentlichen Triebfedern von Food Design. Möglichst schon beim Anblick, erst recht beim Verzehr sollen alle Sinne angeregt, dann größtmöglicher Genuss bereitet werden. Die funktionalen Anforderungen sind ebenso groß, es geht um die Effizienz bei Anbau, Ernte und Verarbeitung, über optimale Verpackung und Transport, die Lager- und Verzehrfähigkeit, einfache Zubereitung und Portionierbarkeit.
Essen bewegt sich im Rahmen unserer kulturellen Standards, die im Sozialisationsprozess erworben wurden. Viele Nahrungsmittel erzählen eine Geschichte, sind symbolisch, religiös und mit kulturellen Werten aufgeladen. Das Buch bietet informationsreich, oftmals überraschend und ironisch, üppig bebildert und klar beschrieben die Themen ab. Es beginnt mit den fünf Sinnen und wie sie die Gestaltung von Essen beeinflussen: Geruch und Geschmack, mit den Signalwirkungen von „süß" oder „bitter", dem Zusammenspiel von Zunge und Nase. Auch der Tastsinn, der die Konsistenz des Lebensmittels mit dem Mund oder mit den Fingern prüft, spielt für den Genuss eine große Rolle. Da vor allem das Auge mitisst, kommt der Optik und Ästhetik ein großer Stellenwert zu. Farben signalisieren die Verträglichkeit; grünlich schimmernder Schinken verfällt der Ablehnung, aber auch zu blasser Emmentaler, der dann künstlich mit Betakarotin gefärbt wird - wodurch deutlich wird, welche Täuschungen möglich sind, weil die Menschheit auf bestimmte Lebensmittelfarben programmiert ist.
Das Kapitel über die Geräusche, über das Mitessen des Ohrs, also über Sound Design, dürfte für viele neues Wissen bringen. Würstchen müssen knacken, Kekse auch, aber anders, das Bier muss mit einem bestimmten Geräusch ins Glas fließen, all das lässt sich mit den entsprechenden Rezepturen und Zubereitungsverfahren bewirken. Ein eigenes Kapitel behandelt in einem knappen, schön illustrierten Überblick die Konservierungstechniken. Wie die Produktion die Gestaltung beeinflusst, belegt die Geschichte des Toastbrots, die der Sachertorte deren eigentlichen Trick - die Schokoladeglasur, welche vor Austrocknung und Verformung bewahrt. Auch auf Fertiggerichte und ihre Geschichte wird eingegangen, ebenso auf Resteverwertung bis hin zum Punschkrapfen. Die Abstimmung einzelner Komponenten aufeinander, rechteckiger Schinken auf rechteckiges Toastbrot oder runde Wurst in die Semmel, entsprechen keinem Zufall, sondern abgestimmtem Design. Ein eigenes Kapitel ist der Kultur mit ihren Symbolen, allen voran den religiösen, gewidmet. Essen als Identität, als Propaganda, bis hin zum Mittel einer Abgrenzung von anderen, führt zur Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist.
Es ist ein äußerst gut gelungenes Buch, höchst instruktiv und anregend, mit Freude anzuschauen und mit Gewinn zu lesen. Es ist grundlegendes Wissen gesammelt (siehe das Literaturverzeichnis) und gut vermittelt worden. Per se schon ein hervorragenden Beispiel für Design mit all den Bildern, Grafiken, Erläuterungen. Jeder/m, der/die sich für Nahrung interessiert, ist die Lektüre ans Herz gelegt. Sie macht Spaß und Freude.
Und so freuen wir von der Gastrosophie uns auch, dass es gelungen ist, die von beiden Autoren geschaffene Ausstellung 2010 nach Salzburg zu holen.