Der enorme Medienhype um Jonathan Foers „Tiere essen" hat mit Sicherheit weniger damit zu tun, dass sein Buch in der Substanz irgendwas Neues präsentiert, irgendeine bisher nicht bekannte, ekelerregende „Menscherei" („Schweinerei" wäre ja eine zynische Beleidigung der Viecher) aus der industriellen Fleischproduktion aufdeckt, sondern eher damit, dass er eben ein junger, smarter und vor allem weltberühmter Romancier ist. Stammte das Buch aus der Tastatur eines PETA-Aktivisten, im Hauptberuf Briefträger, wäre es höchstwahrscheinlich allenfalls im Selbstverlag erschienen und weder „ZEIT" noch „Spiegel" noch „Standard" noch „Die Presse" noch ... hätten es zur Kenntnis genommen.
Und genau das ist einer der Gründe, warum Foers Buch ein Glücksfall ist! Denn das Buch eines weltberühmten Romanciers lesen nun mal Hundertausende mehr, als das eines unbekannten Briefträgers. Und wer das Buch liest und dennoch in Sachen Massentierhaltung völlig unbeeindruckt bleibt, sollte sich ernsthaft Gedanken über einen Termin beim Psychotherapeuten machen.
Auch die Frage nach dem schriftstellerischen Wert des Buches ist im Grunde belanglos; es ist völlig egal, ob Foer „typisch amerikanisch" schreibt oder „typisch jüdisch" oder wie auch immer. Es geht einzig und allein darum, worüber er schreibt, um den sachlichen Gehalt, den Inhalt, die facts. Und die sind nun einmal grauenvoll, beklemmend und im Hinblick auf die weitreichenden Zusammenhänge der Tierindustrie schlicht beängstigend.
Gut: Foer hat ausschließlich in amerikanischen Mastbetrieben und Schlachthöfen recherchiert - wobei man schon feststellen darf, dass er bemerkenswert gründlich recherchiert hat! Deshalb liegt ebenso natürlich die wohlfeile Ausrede auf der Hand, in Europa schaue doch alles weit besser aus. Aber diese Ausrede ist so scheinheilig wie billig: Sebastian Zösch und Dominik Schäfer dürfen am Ende des Buches noch auf 15 Seiten eine Übersicht über die „Sachlage in Deutschland" geben: „Besser" ist es da auch nicht - welche Überraschung! Nein, wie man es auch drehen und wenden und sich winden mag: Massentierhaltung und „Tierwohl" gehen nicht zusammen; Massentierhaltung ist organisierte und in aller Regel himmelschreiende Tierquälerei - das ist schlicht und einfach eine Frage des Systems.
Klar, natürlich: Betriebe müssen wirtschaftlich agieren, das weiß auch Foer. Aber ist der Maßstab der Wirtschaftlichkeit deshalb über alle anderen Gesichtspunkte erhaben? Ist das ein Naturgesetz? Gehört es nicht AUCH zum Berufsethos eines Tiermästers, die Tiere zumindest so zu behandeln, dass sie nicht unnötig leiden müssen? Ist es legitim, Tiere auf den Status von Industrierohlingen zu reduzieren, sie denselben knallharten betriebswirtschaftlichen Rentabilitätsberechnungen zu unterwerfen, wie die Rohlinge in Schrauben- oder Klopapierrollenfabriken? Und selbst wenn einem das Wohl der Tiere egal sein mag, weil man noch immer der anachronistischen These anhängt, Tiere seien nur Sachen: Gehört es nicht auch zum Berufsethos eines Fleisch-„Produzenten", den Konsumenten Ware zu liefern, die im Hinblick auf den Aspekt ihrer Qualität als Lebens-Mittel zumindest halbwegs vertretbar ist, zumindest nicht ihre Gesundheit gefährdet oder gar schädigt? Und dürfen Fleischindustrielle den unmittelbaren Zusammenhang zwischen Weltfleischproduktion und Welthungerproduktion, zwischen industrieller Landwirtschaft und Klimawandel, Bodendegradation, Wasserverknappung usw. einfach so ignorieren? Ist es einfach hoffnungslos naiv, von Tiermästern und -schlächtern und -vermarkten sowas wie ein „Berufsethos" zu erwarten? Ist auch das eine notwendige Folge des Systems? Oder ist die Allzweckrechtfertigung, als Betrieb nun einmal wirtschaftlich agieren zu müssen, vor allem ein Totschlägerargument, hinter dem sich wieder einmal die „edle" Maxime verbirgt: „Profit over people!"? (und „over other animals" allemal ...).
Es ist zweifellos eine der großen Stärken von Foer, dass er auf der Grundlage seiner dreijährigen Recherchearbeiten das System der industriellen Fleischproduktion sachlich, nüchtern und schonungslos beschreibt und es als „absolut unhaltbar" bewertet, dabei aber völlig auf jegliche Form der Predigt verzichtet. Seinen Entschluss, vegetarisch zu leben, beschreibt er als „begrenzt und persönlich", verkündet ihn nicht als verbindliche Norm für den Rest der Menschheit. Es ist seine Entscheidung. Aber genau in diesem existenzialistischen Punkt ist Foer zugleich unbarmherzig: „Sobald wir unsere Gabeln heben, beziehen wir Position." Jeder muss entscheiden, faktisch, ob es ihm passt oder nicht - jedes Mahl!
„Tiere essen" ist ein starkes Buch, dem auch „bewusste Allesesser" von Herzen größten Erfolg wünschen können.