Im Weltkulturen Museum in Frankfurt a. M. fand von Oktober 2011 bis Juni 2012 die vom Ethnologen Sebastian Schellhaas kurierte Veranstaltungsreihe The World in a Spoon statt. In dieser wurden mit profilierten Gastrosophen und Kulinarikern besetze Vorträge - teilweise mit originellen Verkostungen - oder auch Kochseminare angeboten. Nun liegt die dazugehörige Publikation vor.
Zunächst kann man feststellen, dass das 239 Seiten umfassende Buch Die Welt im Löffel schon vom äußeren und inneren Design her auf sehr ansprechende Art individuell ist. Die zahlreichen in ihm enthaltenen Abbildungen unterstreichen diesen Eindruck. Eine über zwanzig Seiten lange Bilderstrecke zeigt faszinierende, exotische Exponate aus dem Bereich des Kulinarischen, von Maniokfladenwendern aus Brasilien bis zu Bierdosen aus Papua-Neuguinea. Alte Schwarz-Weiß-Fotografien wiederum thematisieren gastronomische Szenen in der Kolonialzeit und eine Folge von Farbfotografien zeigt den Künstler und emeritierten Professor für Film und Kochen als Kunstgattung Peter Kubelka bei einer Kochperformance. Also schon das Durchblättern macht Freude.
Im übersichtlich strukturierten Inhaltsverzeichnis stößt man schnell auch auf eine Reihe von Texten, die zur Lektüre einladen. Zuerst sei die appetitanregende Eröffnung des Kurators selbst erwähnt, in der unter anderem auf die kulturalistische Funktion der Küche eingegangen wird, die „gut zu essen", aber ebenso „gut zu denken" sein muss. Darüber hinaus haben unter der Überschrift Kulinarische Perspektiven der Ethnologe Marin Trenk (der 2009 die AG Kulinarische Ethnologie in der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde ins Leben rief), Dieter Froelich (Restauration a.a.O.), der bereits erwähnte Peter Kubelka und der Gastrosoph Harald Lemke (veröffentlichte zuletzt Die Politik des Essens bei transcript) Beiträge verfasst, die allesamt lesenswert sind. Gerade der Text von Kubelka, der eine überarbeitete Transkription einer Performance des ehemaligen Professors der Städelschule ist, kann durchaus als anregende Kostbarkeit bezeichnet werden, liegen doch insgesamt nicht gar so viele schriftliche Ausarbeitungen dieses kulinarischen Freidenkers vor.
Eine ganz eigene Würdigung muss dessen ungeachtet der Buchbeitrag des Physikers und Vorsitzenden der Deutschen Akademie für Kulinaristik, Thomas Vilgis, erfahren. Sein Beitrag Die Alchemie der Küche ist eigentlich richtungweisend für die Kulinaristik, sofern sie sich als Zusammenarbeit von Natur- und Kulturwissenschaften zur Erforschung des Essens und Trinkens versteht. Denn was Vilgis leistet, ist nicht nur interdisziplinär, sondern wirklich eine transdisziplinäre Analyse. Vom ethnokulinarischen Dreieck Claude Lévi-Strauss' ausgehend, mit dessen Theorie Vilgis sich sichtbar tiefgehend beschäftigt hat, entwickelt er erweiterte Anschlüsse auf physikalisch-chemischer Ebene. Seine auch auf moderne Küchenvorgänge Speisenkreationen und Esserlebnisse anwendbare Ausführungen formuliert er dabei, unterstützt durch einleuchtende Diagramme, in einer Sprache, dass sie sogar dem naturwissenschaftlichen Laien gut verständlich sind.
Soweit der erste Teil des Buchs. Der zweite Teil trägt die Überschrift Kulinarische Welten und beinhaltet mehrere Rezepte für mal bekanntere und mal unbekanntere Speisen und Getränke. Manche von ihnen sind wohl nur schwer nachzukochen („Schwein aus dem Erdofen"), andere stellen auch einen Amateur vor keine großen Herausforderungen („Essbare Farben"). Viele von ihnen sind auf jeden Fall exotisch, unbekannt oder historisch und der strukturelle Esser erfreut sich schon am Lesen der Rezepte. Besonders charmant ist, dass die Rezepte nicht im intellektuell luftleeren Raum präsentiert werden, sondern in acht Gruppen unterteilt sind (z.B. Thailändische Rezepte oder Wie der Fleischberg zum Schaum und der Koch zum Künstler wurde) und jedem dieser Abschnitte ist ein einführender Text vorangestellt. Dabei werden keine Allgemeinplätze heruntergeschrieben, wie man dies von vielen Kochbüchern gewohnt ist. Stattdessen wird man, in gebührender Kürze, in den kulinarischen Kontext der darauffolgenden Gerichte eingeführt. Felix Bröcker (Koch und Philosoph), exemplarisch herausgegriffen, blickt an dieser Stelle auf die Historie der Küchenkultur in Europa seit dem Mittelalter zurück, um an dieser den Blick für Innovationen zwischen Kochhandwerk und Kochkunst in der Gegenwart zu schärfen. Darauf kommen dann Rezepte aus der Avantgardeküche.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass es sich bei Die Welt im Löffel um eine sehr gelungene Publikation zur vorangegangenen Veranstaltungsreihe handelt, die erfrischend anders ist, weil sie inhaltlich angenehm überrascht. Sie besitzt das richtige Maß zwischen fundiertem Anspruch und Unterhaltung - Kochen, Essen und Trinken werden kommunikativ vortrefflich eingebettet. Kann man zur Lektüre nur empfehlen!